Kleine Reaktoren für eine dezentrale Biogasproduktion

Verfasser: Dr. Michael Siegert, Frontis Energy, Bahnhofstr. 47, 07330 Probstzella, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Abwasser ist eine ungenutzte Ressource, von der weltweit 380 Mrd. m³ produziert werden.[1] Es enthält Nährstoffe und Energie gleichermaßen. Die globale Abwasserproduktion wird voraussichtlich bis 2030 um 24% und bis 2050 um 51% steigen. Eine vollständige Energierückgewinnung würde die Abwasserbehand­lung nicht nur energieneutral, sondern auch rentabel machen. Eine vollständige Nährstoffrückgewinnung könnte 13% des weltweiten Bedarfs an Phosphor und Stickstoff bedienen. Gleichzeitig verbraucht Abwasser­aufbereitung etwa 3-4% der weltweiten Energieproduktion.[2] Es wird geschätzt, daß die Wasseraufbereitung bis zu 5% des menschengemachten Kohlendioxids emittiert.[3] Leider hindern komplexe und teure Aufberei­tungstechnologien viele Unternehmen und Kommunen immer noch daran, ihr Abwasser zu behandeln.

In der EU27 gibt es mehr als 100.000 Kläranlagen, die täglich etwa 1 Mrd. m³ Abwasser behandeln.[4] Größere Industriebetriebe in der Lebensmittelindustrie klären ihre Abwässer wegen des hohen Volumens und der starken Verschmutzung selbst. Die Kosten für die Behandlung von Industrieabwässern in Molkereien, Brauereien und Weinkellereien allein belaufen sich schätzungsweise auf über 10 Mrd. Euro pro Jahr. Die Ge­samtgröße des globalen Abwassermarktes wird auf über 250 Mrd. Euro geschätzt.

Europa ist der weltweit größte Käsehersteller mit einer Jahresproduktion von über 9 Mio. Tonnen Käse. Bei der Herstellung einer Tonne Käse werden ca. 9 m³ Käsemolke produziert. Trotz ihres hohen Nährwerts wird die Molke aufgrund fehlender Märkte oft wie Abwasser behandelt. Jedoch weist Käsemolke eine sehr hohe organische Belastung auf, was ihre Behandlung erschwert. Gleichzeitig ist die hohe organische Bela­stung von Käsemolke  eine Marktchance für die Biogasproduktion. In Europa und den USA ist der Markt­wert geschätzt größer als 1 Mrd. m³.[5] Im Gegensatz dazu sind die Behandlungskosten von Käsereiabwasser mit einem Anteil Molke höher als 12 Mrd. Euro. Ein mittelgroßer Käsehersteller zahlt beispielsweise 1,5 Mio. Euro jährlich für die Reinigung seines Abwassers. Die Beseitigung dieser Kosten bei gleichzeitiger Er­zeugung von Biogas würde Molkereiabwasser zu einer wertvollen Ressource machen.

Diese Rechnung läßt sich auch auf andere, von der Energiekrise betroffene, Sektoren übertragen. So produziert die EU beispielsweise jährlich mehr als 400 Mio. Hektoliter Bier – Platz zwei nach China.[6] Es fol­gen die USA (217 Mio. Hektoliter), Brasilien (140 Mio. Hektoliter) und Mexiko (110 Mio. Hektoliter). 2020 gaben europäische Brauereien mehr als 1,5 Mrd. Euro für Versorgungsleistungen wie Wasser und Energie aus. Tatsächlich könnten die Ausgaben in diesem Jahr jedoch bei mehr als 4 Mrd. Euro liegen. Große Braue­reien sind davon stärker betroffen als kleine, denn sie verfügen entweder über eigene Einrichtungen zur Was­serbehandlung auf dem Brauereigelände oder auf kommunalen Kläranlagen in der Umgeben. Oft nutzen sie bereits die Energie ihres Abwassers in der Form von Biogas. Diese Möglichkeit ist für kleinere und mittlere Brauereien jedoch nicht rentabel. Oft schrecken sie auch vor dem hohen Aufwand beim Bau zurück. Erst im Juli berichtete die Welt von einer „tiefen Sorge um einen Gas-Blackout“.[7]

Weniger dramatisch, jedoch nicht minder lukrativ ist der europäische Weinmarkt. Europa ist der größte Winzer der Welt mit einer Produktion von 188 Mio. Hektoliter pro Jahr,[8] gefolgt von den USA mit einer Pro­duktion von 33 Mio. Hektolitern.[9] Dies ist eine Marktchance in der Abwasserbehandlung für europäische Weingüter von etwa 4 Mrd. Euro. Eigentümer von Weingütern zögern oft, ihr Abwasser aufgrund der Kosten und der Einschränkungen durch kommunale Kläranlagen zu behandeln. Beispielsweise zahlt ein Weingut 250.000 Euro pro Jahr für die Entsorgung auf der örtlichen Kläranlage. Solchen Weingütern einen Anreiz zur  Abwasserbehandlung zu geben, hilft Umweltstandards auch ohne gesetzliche Vorgaben einzuhalten.

Aktuelle Klärmethoden basieren weitgehend auf teurer Begasung, veralteter anaerober Schlammfaulung und Schlammverbrennung. Wenn energiereiche Verunreinigungen wie der gesamte organische Kohlenstoff (TOC) oder Ammoniak zu Beginn des Prozesses entfernt würden, könnten die Belüftung und die Schlamm­behandlung wenigstens um 80 % reduziert oder gleich ganz vermieden werden. Die Rückgewinnung von Energie und Nährstoffen am Eingang der Kläranlage ermöglicht die Rückgewinnung der meisten Abwasser­ressourcen. Es erscheint daher widersinnig, daß die Abwasserressourcen heutzutage erst nach der Behand­lung zurückgewonnen. Im Fall des Faulschlamms werden sie dann auch noch verbrannt.

Die Abwasserbehandlung hat sich im letzten Jahrhundert größtenteils nicht verändert und bleibt ein kas­kadierter Prozeß aus Phasentrennung (Sandfilter, Absetzbecken und Dekantieren), Ausflockung, Belüftung und Sterilisation oder Filtration. Am Ende wird sauberes Wasser in die Umwelt abgegeben. Bei diesem Ver­fahren sind die Belüftung und Behandlung von Feststoffen (Schlamm) die energieaufwändigsten Schritte. Die Belüftung verbraucht leicht 70% oder mehr der Energie einer modernen Kläranlage.

Dennoch gewinnt eine wachsende Zahl von Kläranlagen bereits andere Ressourcen als Wasser zurück. Die ältesten Wertstoffrückgewinnungsprodukte aus Klärschlamm sind Biogas und Düngemittel. Klär­schlamm wird heute aufgrund seines Gehalts an Schwermetallen wie Kupfer und Quecksilber nicht mehr als Düngemittel verwendet.

Biogas wiederum erfreut sich in Europa anhaltender Beliebtheit, da die Mengen und Preise hoch genug sind, um mit Erdgas zu konkurrieren. Biogas ist auch eine grüne Alternative zu Erdgas, da bei der Produktion und Nutzung keine Netto-CO2-Emissionen entstehen. Ein Wettbewerbsnachteil ist sein CO2- und Sulfidge­halt, die beide Biogas erheblich entwerten. Eine weitere Biogasaufbereitung, die Verunreinigungen entfernt, verbessert die Qualität auf Kosten.

Ein weiterer Nachteil der klassischen Faulung ist der letzte Behandlungsschritt des Schlamms, aus dem sie erzeugt wird. In einem Faulbehälter angekommen, wurde dem Abwasser bereits bei der vorangegangenen Belüftung der Großteil der leichten Energie entzogen. Gleichzeitig verbraucht diese Belüftung die meiste Energie.

Die bisher kommerziell erfolgreichste Lösung für die Probleme der klassischen Faulung sind Upflow Anaerobic Sludge Blanket (UASB)-Reaktoren. Kurz gesagt verwendet diese Technologie einen Methan er­zeugenden Biokatalysator, um Abwasser zu behandeln. Dieser Biokatalysator wird Schlammdecke genannt. Es schwimmt im Reaktor, um eine gute Durchmischung und eine effiziente Gastrennung aufrechtzuerhalten. Dieser Reaktortyp ist besonders erfolgreich, wenn organisch reiches Abwasser behandelt werden muß. Es er­fordert jedoch eine konstante Zufuhr und Substratbelastung sowie eine abschließende Behandlung, um ver­bleibende organische und anorganische Verunreinigungen zu entfernen. Es gibt auch eine obere und untere TOC-Grenze, damit UASB-Reaktoren funktionieren.

Der kommerzielle Erfolg dieser Reaktoren basiert auf der großen Menge des Abwassers und seiner Be­lastung. Sie werden daher nur von Großbetrieben eingesetzt und sind für kleine und mittlere Betriebe unren­tabel. Zudem handelt es sich um eine zusätzliche Bebauung des Betriebsgeländes, was oft nicht möglich oder nicht gewünscht ist. Eine Verkleinerung der Reaktoren würde auch kleineren Betrieben die in den Genuß von sauberen Wasser und Biogas kommen lassen.

Während die Biogasreaktion eine „Abwärts“-Reaktion ist (chemisch gesehen ist sie exergonisch und er­zeugt Wärme), würde jede Beschleunigung letztendlich die Größe des Biogasreaktors verringern, mit poten­tiell großen wirtschaftlichen Vorteilen. Das durch die Stromversorgung eingebrachte elektrochemische Po­tential bewirkt genau das.

Die mikrobielle Elektrolysetechnologie löst diese Probleme mit Hochleistungs-Biogasreaktoren. Sie ba­sieren auf der mikrobiellen Elektrolyse von im Abwasser vorhandenen organischen und anorganischen Stof­fen. In ihrer einfachsten Form wird die Elektrolyse von Abwasser durch elektroaktive Mikroorganismen ka­talysiert, die organische und anorganische Verbindungen an der Anode (der positiven Elektrode, Abbildung 1) oxidieren.[10] Die Reaktionsprodukte sind Kohlendioxid (CO2) und Stickstoffgas (N2).

Figure 1: Prinzip eines mikrobiellen Elektrolysereaktors. Auf der linken Seite wird an der Anode das organische Material zu CO2 oxidiert. Die freiwerdenden Elektronen werden von der Anode aufgenommen. Diese Elektronen werden mithilfe einer Gleichstromquelle transportiert und an die Kathode abgegeben. Wasserstoffgas (H2) wird freigesetzt. CO2 und Wasserstoff bilden dann Methan.

 

Gleichzeitig wird Wasserstoffgas (H2) an der Kathode (der negativen Elektrode) gebildet. Der Wasser­stoff reagiert denn mit dem CO2 der Anode zu Methan. Der Prozeß wird von methanogenen Mikroorganis­men katalysiert. Dieser letzte Methanisierungsschritt vervollständigt die biokatalytische Umwandlung des Abwassers. Das gebildete Biogas wird gesammelt und kann entweder in das Erdgasnetz injiziert oder vor Ort verwendet werden, um Elektrizität und Wärme zu erzeugen.

Die Oxidation des organischen Materials und der Methanproduktion in einer mikrobiellen Elektrolyse­zelle ähneln einer mikrobiellen Brennstoffzelle. Wie bei den Brennstoffzellen, gibt es zwei Elektroden. Die Anode ist von elektrogene Bakterien kolonisiert. Die Hauptunterschiede sind die Abwesenheit von Sauerstoff an der Kathode der Elektrolysezelle und der angelegten SpannungDass entstehende elektrochemische Poten­tial ersetzt den Sauerstoff, schafft aber den selben „Anreiz“ zur Verstoffwechselung durch Mikroben.

Die Reaktionskinetik wird letztendlich mit der angelegten Spannung verbessert. Infolgedessen kann das Reaktorvolumen um mehr als Faktor 20 reduziert werden. Die Größenreduzierung hat mehrere Vorteile. Er­stens macht es Biogas in Märkten zugänglich, auf denen es aufgrund der hohen Investitionskosten nicht möglich war. Zweitens ermöglicht die Größenreduzierung höhere Drucke zu niedrigeren Kosten. Schließlich sind kleinere Einheiten mobil und können geteilt, bewegt oder an saisonale Unternehmen vermietet werden. Eine Dezentralisierung der Biogasproduktion ist so möglich.

 

[1]       Qadir, et al. (2020) Global and regional potential of wastewater as a water, nutrient and energy source. Natural Resources Forum doi:10.1111/1477-8947.12187.

[2]       McCarty, et al. (2011) Domestic wastewater treatment as a net energy producer – Can this be achieved? Environmental Science and Technology 45, 7100–7106. doi:10.1021/es2014264.

[3]       Rothausen & Conway (2011) Greenhouse-gas emissions from energy use in the water sector. Nature Climate Change doi:10.1038/nclimate1147

[4]       Eurostat Waterbase 2022

[5]       Basierend auf Daten aus European Dairy Association. Economic Report 2020; Brüssel, 2020. Also zirka 2 Mrd. Euro bei gegenwärtigen Marktpreisen von 2,80 Euro/m³ und 0,38 Dollar/m³

[6]       The Brewers of Europe, Europe Economics. The Contribution Made by Beer to the European Economy; London, United Kingdom, 2020.

[7]       Welt.de „Bierkonsum steigt wieder – und doch fürchten die Brauer den Produktionsstopp“, 25. Juli 2022

[8]       Europäische Kommission, Agridata, 2021

[9]       US Department of Treasury, Alcohol and Tobacco Tax & Trade Bureau, Wine Statistics, 2021

[10]     Siegert, et al. (2015) The Presence of Hydrogenotrophic Methanogens in the Inoculum Improves Methane Gas Production in Microbial Electrolysis Cells. Frontiers in Microbiology, 5, 778. doi:10.3389/fmicb.2014.00778

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